Samstag,
13.07.2019 - 04:45
5 min
Rassismus im Fußball: Wird es schlimmer?

Von Tobias Goldbrunner
Leitung Sport

Fast jede Woche berichten Medien von Rassismus-Vorwürfen auf Fußball-Plätzen. Ist die Zahl der Fälle gestiegen? (Montage: VRM)
REGION - Jordi Osei-Tutu sinkt zu Boden. Unter Tränen. Kurz darauf geht der dunkelhäutige Zweitliga-Profi des VfL Bochum, sichtlich aufgewühlt, zur Seitenlinie.
Vergangener Dienstag, es läuft die 43. Minute des Testspiels gegen den FC St. Gallen. VfL-Trainer Robin Dutt erklärt später, Osei-Tutu sei von einem Gegenspieler rassistisch beleidigt worden. Drei Tage zuvor ein ähnlicher Fall. Sandro Schwarz, Cheftrainer des FSV Mainz 05, stürmt auf die Tribüne. Ebenfalls während eines Vorbereitungsspiels. Der 40-Jährige stellt eine stark alkoholisierte Gruppe von Zuschauern, die seine Profis beschimpft haben sollen, zur Rede. „Sollen wir euch noch Bananen mitgeben?“ sollen die Männer gerufen haben. Der St. Gallener Spieler bestreitet die Vorwürfe. Auch die betrunkenen Männer in Mainz lassen verlauten: Beleidigungen seien gefallen, aber keine rassistischen. In beiden Fällen ermittelt jetzt die Polizei.
Jeder einzelne Fall ist einer zu viel!
Fast jede Woche berichten Medien von Rassismus-Vorwürfen auf Fußball-Plätzen. Ist die Zahl der Fälle gestiegen? Oder reagieren wir empfindlicher? Statistiken und Studien dazu gibt es kaum. Der Hessische und der Südwestdeutsche Fußballverband teilen mit, dass sie keine signifikanten Anstiege verzeichnen. Der Deutsche Fußball-Bund schrieb diese Woche in seinem 5. Lagebericht des Amateurfußballs: In der Vorsaison meldeten die Schiedsrichter 2.725 Diskriminierungsvorfälle. Bei 1.305.136 erfassten Spielen entspricht dies 0,21 Prozent. Diese Zahl hat sich in den zurückliegenden fünf Jahren nicht verändert. Eine Diskriminierung liegt laut DFB vor, wenn eine Person aufgrund der Hautfarbe, Sprache, Herkunft, Religion, sexuellen Identität, des Geschlechts oder Alters in der Würde verletzt wird. Rainer Koch, Vizepräsident des DFB, sagt: „Statistisch gesehen stellen Gewalt- und Diskriminierungsfälle eine Ausnahme dar, doch die prozentualen Werte relativieren in keiner Weise das Leid der Betroffenen. Jeder einzelne Fall ist einer zu viel!“
„Die Menschen reagieren heutzutage sensibler. Das Thema findet leichter den Weg in die Berichterstattung“, erklärt Dr. Norbert Schütte, Sportsoziologe der Uni Mainz. „Das Problem ist aber ein genauso gravierendes wie altes.“ In den 80ern organisierte sich in Vereinen die Neo-Nazi-Szene, in den 90ern mussten die Profis Affenlaute ertragen. „Nach und nach gingen Vereine und Verbände dagegen vor“, schildert Schütte. Mittlerweile gibt es unzählige Aktionen: Videos, Plakate, Trikots, Durchsagen.
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„Aber das reicht nicht“, forderte der ehemalige Bundesliga-Star Kevin Prince-Boateng im Vorjahr in der „SZ“. Der Ex-Frankfurter sorgte am 3. Januar 2013 für Aufsehen, als er und seine Mitspieler des AC Mailand in Folge einer rassistischen Beleidigung ein Testspiel abbrachen. Noch heute werde er beschimpft. Als „Scheiß-Schwarzer“ zum Beispiel. „In Deutschland, Italien, Spanien, es ist überall gleich: So wie es auf den Straßen passiert, passiert es auch in den Stadien.“ Immer wieder erregt das Thema für ein paar Tage die Gemüter. Im Zuge der Özil-Debatte im Dezember 2018, nach den „Sieg heil“-Rufen während des deutschen Länderspiels gegen Serbien vor vier Monaten. Und doch haben viele Betroffene das Gefühl, dass sich langfristig nichts ändert.
Unbedachte Sprüche oder politische Einstellung?
„Es ist auch ein nicht so einfach fassbares Phänomen“, sagt Schütte. Markus Sotirianos von der Fan- und Förderabteilung des SV Darmstadt 98 ergänzt: „Im Fußball kommen Millionen zusammen. Er ist der Spiegel der Gesellschaft. Hinzu kommt, dass die Menschen sich der Konsequenzen in den Stadien in diesem Moment oft nicht bewusst sind.“ Enthemmt, oft durch Alkohol, so Schütte. Wo fängt dann Rassismus an? Was darf ich überhaupt noch sagen, fragen viele. Und handelt es sich vermehrt um unbedachte Sprüche von betrunkenen Halbstarken? Oder stecken politische Überzeugungen dahinter? Klar sei, so Schütte: „Wenn ich für eine Eigenschaft abgewertet werde und nicht für das, was ich kann, dann verletzt das meine Würde als Mensch.“ Bananen seien längst ein Symbol dafür.
Das Gros der Opfer spreche die Vorfälle nicht an, so Schütte. Um eben nicht als Opfer dazustehen. Cedric Siewe, damals im Trikot des rheinhessischen Bezirksligisten Fortuna Mombach, wurde im April von einem Zuschauer des TSV Zornheim beschimpft. „Komm doch her, Schwarzer“ rief dieser. Siewe ging offen mit dem Fall um, sprach sich dafür aus, dass der gegnerische Verein nicht bestraft werde. „Ich kenne viele, die darunter leiden. Auch ich wurde schon in der Jugend beschimpft. In einem Ort mussten wir uns immer anhören: Wollt ihr den Nobelpreis für die meisten Ausländer? Wenn du nie was tust, kannst du auch nichts ändern.“
Israel Mukamba von der TSG Planig (Bezirksliga Nahe) erlebt solche Fälle immer wieder. Der 26-Jährige sagte unlängst unserer Zeitung: „Einer fängt an, und wenn die anderen merken, der springt darauf an, machen zwei, drei andere gleich mit. Und sobald ich mich darauf einlasse, bin ich am Ende immer der Idiot.“ Den meisten gehe es nur darum zu provozieren. „Im schlimmsten Fall verliere ich die Nerven und fliege mit Rot vom Platz.“ Mukamba: „Das Traurige ist, dass solche Rufe teilweise auch von Vereinen kommen, die selbst Ausländer in ihrer Mannschaft haben. Da frage ich mich schon, ob da niemand über seine Worte nachdenkt.“
Es müssen noch mehr Zeichen gesetzt werden
Was kann getan werden? Der Weltverband Fifa hat am Donnerstag die Strafen verschärft, Nationen drohen Teilausschlüsse der Zuschauer, im Wiederholungsfall Punktabzug und Wettbewerbsauschluss. Der DFB ist nicht verpflichtet, diese Strafmaße zu übernehmen. Sotirianos ist der Meinung: „Wehret den Anfängen, wir müssen noch mehr Zeichen setzen.“ Gleichzeitig kann er verstehen, wenn Vereine und Verbände teils bewusst zurückhaltend agieren: „Je mehr man darüber spricht, desto mehr befeuert das manchmal die Gegenseite.“
Boateng spricht sich dafür aus, Videotechnik zu nutzen, um die Hetzer aus dem Verkehr zu ziehen. „Die einzige Lösung sind Stadionverbote.“ Hessens Innenminister Peter Beuth betont: „Von DFB und Vereinen erwarte ich unmissverständliche Botschaften an gewaltsuchende oder extremistische Fans. Deshalb müssen die Vereine Stadionverbote konsequent umsetzen. Nur bei einer konsequenten Haltung ist die Unterstützung durch die öffentliche Hand auch zukünftig zu rechtfertigen.“
05-Coach Schwarz erhielt für seine Aktion großen Zuspruch. „Das ist ein Beispiel, wie man Zivilcourage zeigen kann“, findet Schütte. Für Schwarz eine Selbstverständlichkeit: „Aktuell vereinen wir in unserem Team 15 Nationen, Christen, Moslems und Atheisten, und trotzdem sind wir eins. Und besser gerade wegen unserer Vielfalt. Wer das nicht kapiert, braucht gar nicht ins Stadion zu kommen.“