Synthetische Musik ganz naturnah: Hochbetrieb an der Electro-Bühne.
(Foto: Thorsten Stötzer)
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WOLLMERSCHIED - Zu viel Freiheit kann überfordern. „Ich such mir einen Yogalehrer, der mir sagt, wann ich einatmen soll – und wann aus“, singt Dota Kehr beim Tropen-Tango in Wollmerschied. Die Liedermacherin aus Berlin hat noch mehr zu sagen über gekürztes Wohngeld, das Klima, „schlimme Faschos“ und Sexisten sowie über den Kapitalismus, denn „Geld verdirbt den Charakter“. Vielleicht ein wenig „fatalistisch und apokalyptisch“ seien ihre Stücke, räumt Dota Kehr auf der Trop-City-Bühne ein. Aber sie macht gleichfalls Hoffnung mit dem Lied „Schwangere Frauen im Baumarkt“, das ironisch allgemeine Aufbruch-Stimmung thematisiert. Direkter klingt das Lob des Stargasts für das Festival: „Man merkt, dass hier noch viele Ehrenamtliche aktiv sind, ich weiß das zu schätzen.“
Bunter Mix an alternativen Subkulturen
Vom „guten Spirit“ spricht Rike Kochem vom veranstaltenden Verein Kloster 9, und von einer Normalisierung. Das bedeutet, dass sich die Besucherzahl wieder dem angestrebten Wert von 3500 Menschen annähern dürfte, nachdem im Vorjahr wegen der drohenden Absage wegen Waldbrandgefahr ein Rückgang spürbar war. Überhaupt liege ein „stressiges Sicherheitskonzeptjahr“ hinter den Organisatoren.
Nach einer großen Abnahme zwecks Genehmigung stehen nun auch wieder der Dub-Hang und der Wandelwald zur Verfügung. Offiziell sei momentan keine Waldbrandstufe mehr ausgerufen. So darf es hoch hergehen auf und vor den acht Bühnen. Die Rapper von „Ostberlin Androgyn“ berichten gerade auf der Woodhood-Stage, wie es sich anfühlt „eingesperrt zu Hause im 19. Stock“. Das kann in Wollmerschied keinem passieren, dort ragt höchstens der Dub-Hang auf für die Reggae-Freunde.
Der zehnte Tropen-Tango offeriert erneut einen wahrhaft bunten Mix an Musikstilen und alternativen Subkulturen. Im Wandelwald sind Gedichte auf Holzbrettern zu lesen, es geht ums In- und Ausland, ums Um- und Hinterland. Indianer und Zwerge und als Höhepunkt eine den riesigen Steinköpfen der Osterinseln nachempfundene Skulptur. Abends beginnt das Festival dann zu leuchten dank illuminierten Scherenschnitten und einem Trampolin, das für Projektionen in die Bäume gehängt wurde.
„Es gibt kaum ein Festival, das so kinderfähig ist“, findet Rogan Yosh aus Wiesbaden, dem als Künstler sonntagmittags die Bühne gehört. Regelmäßig gestaltet er den Tropen-Tango mit. Etabliert hat sich dort gleichfalls die „Kirche des Subgenius“, in der ein Reverend namens Vadim gar Tropen-Tango-Trauungen vollzieht. Einen „Dome“ gibt es außerdem, der ist für Klänge statt für Predigten gedacht.
Davor entspannen junge Leute unter einem Apfelbaum. Der wächst auf dem Kulturacker, der wie ein grüner Marktplatz wirkt, auf dem das Leben pulsiert zwischen Performances und Workshops. Maren Storke zeigt an ihrem Stand, wie sich Kiesel vergolden lassen, sodass Eichhörnchen und Pinguine auf ihnen erscheinen. Die Münchnerin ist erstmals nach Wollmerschied gereist und staunt: „Ich dachte, das ist so ein süßes, kleines Festival“ – irgendwie erscheine es nun nur noch als süß.