Ausstellung: Die Opelvillen zeigen Bilder von Fotografen der DDR-Modezeitschrift „Sibylle“

Arno Fischer hat die Nachkriegsfotografie der DDR mitgeprägt und früh für die dortige Frauenzeitschrift „Sibylle“ gearbeitet. Sein Modebild entstand 1962 vor einem Gasometer in Ost-Berlin. Es ist jetzt in der Schau der Opelvillen über die „Sibylle“-Fotografen zu sehen. Foto: Opelvillen Foto: Opelvillen
RÜSSELSHEIM - 200 000 Exemplare pro Auflage: Das war selbst in der DDR mit ihren nur 16,5 Millionen Einwohnern nicht viel. Deshalb ging die 1956 von Sibylle Gerstner gegründete und vom (staatlichen) Deutschen Modeinstitut Berlin herausgegebene „Sibylle – Zeitschrift für Mode und Kultur“ bei ihren Leserinnen oft von Hand zu Hand.
Modezeitschrift mit Schnittmusterheft
Denn diese im Zweimonats-Rhythmus erscheinende „Sibylle“ war ein geliebtes Doppel: hier aktuelle Modezeitschrift mit anspruchsvollen Fotografien und Texten, da (als Beilage) auch ein Schnittmuster-Heft, mit dem man nachschneidern konnte, was auf den Seiten zuvor zwar zu sehen, in den volkseigenen Läden aber nicht zu kaufen war.
Jetzt ist die Zeitschrift, die Anfang 1995 eingestellt werden musste, selbst Thema einer Ausstellung. Diese entstand als Kooperation mit der Kunsthalle Rostock, wurde für die Rüsselsheimer Opelvillen jedoch entscheidend neu eingerichtet. Denn Beate Kemfert, Kuratorin und Stiftungsvorstand des Hauses, stellt nicht die Geschichte des Blattes ins Zentrum. Ihr Thema sind die „Sibylle“-Fotografen und deren Bedeutung für die Entwicklung der Kunstfotografie in der DDR.
TERMINE
Von Sonntag, 27. August (Vernissage: 11 Uhr) bis 26. November in den Rüsselsheimer Opelvillen, Ludwig-Dörfler-Allee 9. Öffnungszeiten: mittwochs bis sonntags von 10 bis 18 Uhr, donnerstags auch bis 21 Uhr. Im Begleitprogramm wird unter anderem am Samstag, 7. Oktober, sowie Sonntag, 8. Oktober, ein zweitägiger Schneider-Workshop angeboten – Informationen unter Telefon 06142–835931.
Was der Besucher dabei beim Blick auf die über 200 Bilder schnell feststellt, haben Interviews mit den 13 vorgestellten, heute teilweise schon verstorbenen Akteuren bestätigt: Sie konnten für „Sibylle“ von Beginn an in einem bemerkenswert ideologiefreien Raum arbeiten. Fotoverbote gab es nicht – obwohl ein Ziel dieser Zeitschriften-Gründung war, kulturelle Standards zu setzen.
Bemerkenswert zeitgemäß ist dabei immer wieder der Blick auf das Phänomen Frau. „Wir haben erst einmal die Puppenposen abgeschafft“, hat der Altmeister der DDR-Fotografie Arno Fischer (1927 – 2011) gesagt. Er arbeitete seit 1962 für die „Sibylle“ und brachte mit dokumentarischen Aufnahmen Realität ins sozialistische Modebild: „Ziel war es, die normale Frau bei der Arbeit, auf der Straße und im Alltag anzusprechen“, schreibt Beate Kemfert.
Deshalb wurden die möglichst natürlichen Models nicht nur fröhlich und in attraktiver Sommermode an Stränden fotografiert, sondern auch in winterlicher Kleidung am Industriestandort Bitterfeld oder vor grauen Berliner Fassaden. Gerade mit BRD-geprägten Augen wird dabei beim Rundgang jedoch auch klar: Gegen Ende der DDR-Zeit wurde die Sicht der Fotografen auf diese Umwelt immer kompromissloser, obwohl Frauen wie Mode gleich attraktiv blieben.
Beate Kemfert hat diese Schau chronologisch angelegt und Entwicklungen herausgearbeitet. Am Beginn steht unter anderem eben Arno Fischer, der auch im Sinne des Wortes Bewegung ins Modebild brachte: Seine bekannte Aufnahme eines Mannequins vor einem Berliner Gasometer entstand 1962.
In den 1970er-Jahren erweiterte sich jedoch nicht nur das Aufgabenfeld der „Sibylle“, die nun explizit ihr „Anliegen bei der Entwicklung der sozialistischen Lebensweise“ sah. Auch die Zahl der Fotografen wuchs. Neuzugänge waren beispielsweise Roger Melis, Michael Weidt, Sibylle Bergemann und Rudolf Schäfer. Zu ihren bevorzugten Hintergrundmotiven gehörten der neue Alexanderplatz und Plattenbauten. Was Wunder, dass dagegen – fast wie eine Antithese – auch inszenierte Weltferne gestellt wurde: Bergemann beispielsweise ließ ihre Frauen für Badeanzug-Aufnahmen gern in Traumwelten entschweben.
Am Ende stehen Kälte und der Charme der Dekadenz
Das waren keine „Puppenposen“. Aber es war der Beginn der unterdrückten Spannungssituation später DDR-Jahre, die auch in Zeitschriften spürbar wurde. Dafür stehen die konträren Bildauffassungen von Ulrich Wüst und Sven Marquardt. Wüst konfrontierte 1984 strenge Frauenbilder mit ebenso strengen architektonischen Wandszenerien: Schönheit in Kälte.
Der damalige Punker Marquardt fand für seine Aufnahmen dagegen nicht nur verkommene Orte, sondern auch Motive am Rand der Dekadenz. Er sieht sich heute nicht als Berufsfotograf wie seine Vorgänger bei „Sibylle“, sondern als Künstler. Die wahren Reportage-Jahre waren in den Achtzigern eben schon vorbei.