Von Olaf Streubig und Carina SchmidtWIESBADEN / MAINZ - Die Diskussionen um den möglichen Bau eines Müllheizkraftwerks in Amöneburg werden schärfer und gelangen auf die politische Ebene. In der nächsten Sitzung des Kasteler Ortsbeirates, am 21. November, will der Arbeitskreis Umwelt und Frieden (AUF) einen Fragenkatalog an den Magistrat durchsetzen. Dabei soll es vor allem um Emissionen und etwaige Verkehrsbelastung gehen.
Sprecher von AUF ist Ronny Maritzen, der zugleich als Vertreter der Grünen dem Umweltausschuss der Wiesbadener Stadtverordnetenversammlung vorsteht. Zudem gehört Maritzen der Betriebskommission der Entsorgungsbetriebe der Landeshauptstadt (ELW) an. Dieses Aufsichtsgremium hat im Juni die Ausschreibung, wer künftig den Wiesbadener Hausmüll verbrennen soll, durchgewunken. In der Betriebskommission sitzen auch Umweltdezernent Andreas Kowol (Grüne), SPD-Fraktionsvorsitzende Nadine Ruf und FDP-Vize Lucas Schwalbach an. Ihnen allen war entgangen, dass in der Ausschreibung explizit auch der Bau „einer thermischen Restabfallentsorgungsanlage im Stadtgebiet“ in Erwägung gezogen wird.
- DER MÜLL-STREIT
Das Gros des Wiesbadener Mülls wird in Frankfurt entsorgt. Für die Abfallentsorgung ab 2019 konnte mit der Rhein-Main-Abfall GmbH (RMA) keine Einigung über den Preis erzielt werden. Es folgte eine europaweite Ausschreibung, bei der auch der Bau einer neuen Anlage in Wiesbaden in Betracht gezogen wird.
Vier Firmen haben sich daran beteiligt, darunter auch Knettenbrech und Gurdulic aus Wiesbaden. Der Mainzer Mitbewerber Remondis hat das Verfahren vor der Vergabekammer gerügt. Knettenbrech und Gurdulic sei darin aufgrund der Ortsnähe bevorteilt. Die Kammer entscheidet am 22. November.
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"An Dreistigkeit kaum zu überbieten"
Bei der Sitzung der Kommission sei lediglich eine Präsentation zu der Ausschreibung gezeigt worden, beteuern verschiedene Mitglieder des Aufsichtsgremiums. „Eine potenziellen Anlage in Wiesbaden wurde mit keinem Wort erwähnt“, sagt Maritzen. Erst durch die Berichterstattung dieser Zeitung habe er davon erfahren. Einige Mitglieder des Aufsichtsgremiums fühlen sich dem Vernehmen nach durch ELW-Betriebsleiter Joachim Wack getäuscht. Vehement forderte daher die FDP, das Thema im Stadtparlament zu behandeln.
„Was Grüne und FDP hier aufführen, ist an Dreistigkeit kaum zu überbieten“, sagt Nicole Röck-Knüttel. Die umweltpolitische Sprecherin der CDU-Fraktion betont: „Es handelt sich offenkundig um den Versuch, sich vor der eigenen Verantwortung zu drücken.“ Schließlich seien die Parteien in der Betriebskommission vertreten und hätten Einblick nehmen können.
Dort war das Thema nicht im Detail behandelt worden, wie Betriebsleiter Wack auf Anfrage bestätigt: „Ausschreibungen gehören zum Geschäft der laufenden Verwaltung und sind damit Angelegenheiten der Betriebsleitung und nicht der Betriebskommission.“ Man habe daher nur „grundsätzlich über die Ausschreibung“, die 125 Seiten umfasst, informiert.
Nach Interpretation von Rock-Knüttel wird „in der Ausschreibung überhaupt keine Müllverbrennungsanlage gefordert. Es ist einfach voreilig, jetzt schon über den Bau einer Müllverbrennungsanlage zu spekulieren.“
Gurdulic will auf jeden Fall bauen
Mittlerweile hat der Geschäftsführer des Wiesbadener Entsorgungsunternehmens Knettenbrech und Gurdulic, Steffen Gurdulic, bekannt gegeben, dass er in jedem Fall ein Müllheizkraftwerk bauen will. Das Werk würde einen dreistelligen Millionenbetrag kosten, die dort erzeugte Energie soll ins Fernwärmenetz der Stadt eingespeist werden, 30 neue Arbeitsplätze sollen entstehen. Da Knettenbrech und Gurdulic über kein eigenes Müllheizkraftwerk verfügt, transportiert es den Müll nach eigenen Angaben zur Verbrennung nach Ostdeutschland.
Schon heute wickelt Knettenbrech und Gurdulic rund sieben Prozent des Wiesbadener Hausmülls (5.000 Tonnen pro Jahr) ab, wie ELW bestätigt. Die Rhein Main Abfall GmbH, die 65.000 Tonnen des Wiesbadener Abfalls in Frankfurt verbrennt, sei „nicht in der Lage, unsere Übermengen abzunehmen“, teilt Wack mit.
Die Firma Remondis, Anteilseigner der Anlagen in Mainz und Frankfurt, hatte wiederholt betont, dass sowohl in Mainz als auch in Frankfurt Kapazitäten für den Wiesbadener Müll frei wären. Durch eine Anlage in Wiesbaden entstünde ein Mülltourismus. Das glaubt auch die Mainzer Umweltdezernentin Katrin Eder (Grüne). Sie fürchtet gar, dass künftig Müll aus München herbeigekarrt werden müsse. Diesem Szenario widerspricht Gurdulic deutlich: „Es gibt im Rhein-Main-Gebiet genug Müll. Von unseren Standorten in Neu-Isenburg und Mainz können wir fehlende Abfallmengen jederzeit nach Mainz und Frankfurt liefern.“ Knettenbrech und Gurdulic hat zehn Standorte in der Region und rund 1000 Mitarbeiter. „Es muss kein Müll aus München kommen, ich mache gerne langfristige Zusagen – natürlich dann zum gleichen Preis wie Remondis.“ Der bundesweite Branchenprimus beliefert die Werke in Mainz und Frankfurt derzeit nahezu exklusiv.
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